Exhibitionismus als Diagnose und Straftat
Exhibitionismus ist sowohl Diagnose als auch Straftat. Jedoch gibt es einen Unterschied zwischen dem psychotherapeutisch-juristischen Verständnis von Exhibitionismus und dem gesellschaftlichen Verständnis.
Was ist Exhibitionismus und was nicht?
Menschen mit Exhibitionismus verspüren sexuelle Erregung durch das Überschreiten von Grenzen und zusätzlich durch die Provokation einer Reaktion. Sie zeigen ihre Genitalien in einem unpassenden Kontext und dadurch auch nicht einvernehmlich. Wenn die Nacktheit zur Situation passt, dann handelt es sich nicht um Exhibitionismus. Konkretes Beispiel: Wenn ich an einen FKK-Strand oder in die Sauna gehen will, dann weiß ich, dass dort nackte Menschen sind und ich muss damit rechnen, nackte Körper zu sehen. Es werden Genitalien sichtbar sein. Es ist die Norm, dass man nackt ist. Daher ist es kein Exhibitionismus und die Menschen sind keine Exhibitionisten oder Exhibitionistinnen.
Wer aber das Genital in der Bahn oder im Bus auspackt, ohne Vorwarnung und Zustimmung anderer, und dadurch sexuell erregt wird, der ist ein Exhibitionist. Ich benutze hier bewusst die männliche Form. Obwohl wir wissenschaftlich wissen, dass auch Frauen exhibitionistisch sein können, sagt das deutsche Gesetz etwas anderes.
Exhibitionismus als Straftat
Im deutschen Strafgesetzbuch sind exhibitionistische Handlungen in §183 beschrieben und in Absatz 1 explizit als Handlungen, die ein Mann durchführt, definiert. Zwar werden in Absatz 4 auch Frauen benannt, aber die Realität ist, dass bei Anzeigen Männer eher wegen Exhibitionismus und Frauen eher wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt werden – wenn Frauen überhaupt angezeigt werden.
Wichtig ist hier die Information, dass exhibitionistisches Verhalten angezeigt werden kann und auch sollte! Es droht bis zu einem Jahr Gefängnis und dieses Signal sollte gesendet werden. Natürlich lässt es sich sehr bequem am Schreibtisch sitzen und schreiben „Zeigt an! Zeigt an!“, manchmal schafft man es nicht oder will man es nicht aus den unterschiedlichsten Gründen. Wer aber den Rückhalt aus dem Umfeld hat und sich stark genug fühlt, sollte diesen Übergriff anzeigen. Exhibitionismus ist ein sexueller Übergriff!
Generell wird zwischen sexuellen Übergriffen mit Körperkontakt und solchen ohne Körperkontakt unterschieden und Exhibitionismus zählt zur zweiten Kategorie. Die Unerwünschtheit und die meist negative Reaktion sind ein zentrale Faktoren, die die Erregung auslöst bei einem Menschen mit Exhibitionismus – aber genau hier ist auch der Knackpunkt: Meine persönliche Freiheit endet, sobald ich die persönliche Freiheit einer anderen Person einschränke. Das regelt schon das Grundgesetz.
Exhibitionismus in der Psychotherapie
Exhibitionismus ist eine Diagnose und kann behandlungsbedürftig sein, wenn er ausgelebt wurde, wenn sich also jemand übergriffig verhalten hat. Nicht die Fantasie oder der Wunsch sich auszuziehen sind behandlungsbedürftig, sondern das Überschreiten der Grenzen von anderen Menschen. Es geht darum, herauszufinden, ob es andere, einvernehmliche Möglichkeiten gibt, sexuell erregt und befriedigt zu werden.
Gleichzeitig geht es darum herauszufinden, wie man mit diesem Drang legal umgehen kann. Warum jemand exhibitionistisch veranlagt ist, das ist nicht Gegenstand der Psychotherapie – das wissen wir nämlich nicht. Wir wissen nicht, warum jemand darauf steht, worauf er:sie steht. Wenn jemand unter den exhibitionistischen Fantasien leidet, dann darf die Diagnose auch vergeben werden. Aber auch in diesem Fall geht es nicht darum, die Fantasien zu bekämpfen oder zu löschen. Das können wir gar nicht. Müssen wir auch nicht. Denn in der Fantasie darf man sich gerne vorstellen, dass man sich in der Öffentlichkeit ungefragt vor irgendwem auszieht – nur ausleben darf man es nicht.