Dacryphilie
Wenn Tränen für Lust sorgen
Wenn ein Mensch weint, haben die meisten von Euch wahrscheinlich das Bedürfnis, ihn in die Arme zu nehmen, zu trösten und die Tränen so schnell wie möglich zu trocknen. Aber was, wenn der Anblick eines tränenüberströmten Gesichts kein Mitgefühl, sondern sexuelle Erregung auslöst? Dann ist von einer Dacryphilie die Rede, zu Deutsch: Einem Tränenfetisch. Ihn auszuleben ist alles andere als einfach. Wir verraten Dir, was hinter diesem Fetisch steckt und was Du darüber wissen musst.
Dacryphilie: Wenn der Sex zum Heulen ist
Dacryphilie, der Tränenfetisch, ist für viele Menschen eine eher kuriose Vorliebe. Und nicht nur das, manchmal kann der Fetisch auch als grenzwertig angesehen werden, wenn das Gegenüber ohne sein Einverständnis zum Weinen gebracht wird, weil das die dacryphile Person erregt. Was aber führt dazu, dass die Tränen eines anderen nicht für Mitgefühl und Empathie sorgen, sondern für die Regung im Unterleib?
Wissenschaftler:innen beschäftigen sich seit langem damit, wo verschiedene Fetische herkommen. Bei der Dacryphilie geht man teilweise davon aus, dass es nicht der seelische Schmerz an sich ist, sondern die absolute Offenheit, die von der weinenden Person ausgeht. Wenn ein Mensch weint, offenbart er seine Gefühle, ist authentisch, gewährt ein Stück weit Einblick in seine Seele. Und genau das ist es, was den Tränenfetischisten erregt.
Eine härtere Variante ist allerdings, wenn es nicht um die Tränen an sich geht, sondern um das seelische Leid beim Gegenüber. Hier wird die Erregung gesteigert, wenn sich die weinende Person in einer extremen seelischen Notlage befindet und sich völlig hilflos fühlt. An Sex ist für die betroffenen Personen überhaupt nicht zu denken, für Dacrophyle hingegen ist der Anblick ein absoluter Kick. Ein sehr schwieriger Fetisch, der in solchen Fällen nur selten einvernehmlich ausgelebt werden kann und wenn, dann meist im Rahmen einer BDSM-Beziehung.
Fakten rund um Dacryphilie
#1: Studie weist auf verschiedene Varianten hin
Im ersten Moment möchten wir glauben, dass die Dacryphilie ein Fetisch für Sadisten sein muss, doch es gibt auch eine andere Variante. 2015 gaben in einer Studie insbesondere Frauen an, dass sie sich durch ihr Mitgefühl einer weinenden Person gegenüber erregt fühlen. Es geht also nicht darum, das Leid des anderen zu genießen, sondern die weinende Person zu trösten und sich durch die Schwäche des anderen gebraucht und auch stimuliert zu fühlen. Vor allem Tränen von Männern scheinen bei diesen Frauen solche Gefühle hervorzurufen.
#2: Oxytocin als Ursache für den Tränenfetisch
Oxytocin ist das sogenannte Kuschelhormon, das in verschiedenen Situationen ausgeschüttet wird. Wenn Du mit Deinem Schatz im Bett liegst und kuschelst, wenn Du einen Orgasmus hast, wenn Du Händchen hältst, all diese Situationen bringen das Kuschelhormon zum Überkochen. Der Anblick von Tränen scheint den Oxytocinspiegel beim Beobachter ebenfalls ansteigen zu lassen.
Oxytocin fördert das Bedürfnis nach Fürsorge und durch die so entstehende Nähe, kann wiederum sexuelle Erregung ausgelöst werden. Auch das ist nur eine Hypothese einiger Psychologinnen:Psychologen, die tatsächliche Ursache für die Dacryphilie ist unbekannt.
#3: Tränenfetisch in der BDSM-Szene
In BDSM-Beziehungen kann ein Tränenfetisch am ehesten ausgelebt werden. Allerdings bezieht der aktive Part seine Erregung hier nicht aus Mitgefühl, sondern aufgrund der Unterwerfung, der schamlosen Offenheit und der Erniedrigung. Die weinende Person wird durch ihre Hingabe und die Traurigkeit ebenfalls erregt. Allerdings ist es wie immer wichtig, dass es auch für tränenreiche Sessions ein Safeword gibt und sich der:die Dom:me nach der Session um den:die Sub kümmert.
#4: Beschützerinstinkt und Dominanzgefühl
Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Dennoch gibt es Männer, die sich selbst als den starken und dominanten Part in einer Beziehung sehen. Eine weinende Frau weckt dann vor allem den Beschützerinstinkt. Er fühlt sich in seiner Rolle als starkes Geschlecht bestätigt und erfährt sexuelle Erregung, wenn er seine Stärke einsetzen kann, um die Partnerin zu trösten.
Im umgekehrten Fall ist es genau dieses Aufbrechen dieser alten Geschlechterrollen, das viele Leute erregend finden.
#5: Tränen ohne Traurigkeit
Hast Du vielleicht auch schon einmal beim Orgasmus geweint? Für manche Menschen ist das Gefühl des Höhepunkts so überwältigend, dass die Tränen über die Wangen rinnen. Wenn der:die Partner:in den Grund für die Tränen kennt und weiß, dass hier nur ein immenses Lustgefühl und keine Traurigkeit dahintersteckt, ist es sogar ein bisschen normal, dass der Anblick stimulierend wirken kann. Denn was ist schöner als zu sehen, dass der:die Partner:in gerade in völliger Lust schwelgt?
Die Dacyrphilie scheint tatsächlich ein wenig kurios und für viele Menschen ist dieser Tränenfetisch vielleicht nicht so ganz einfach nachzuvollziehen. Vor allem dann nicht, wenn Tränen bei Dir einfach nur Empathie auslösen und Du noch nie auf die Idee kamst, nun an Sex zu denken, wenn jemand geweint hat. Aber: Niemand kann sich aussuchen worauf er:sie steht – und solange niemand den:die Partner:in ohne Konsens zum Weinen bringt, ist alles in Ordnung.