Crossdressing
Bewusstes Aufbrechen der Geschlechterrollen
Wir bewegen uns in einer Welt, in der ein Zwei-Geschlechter-System vorherrscht. Das bedeutet Menschen werden in Männer und Frauen unterteilt. Doch eigentlich gibt es noch viel mehr zwischen diesen beiden Kategorien – männlich und weiblich sind sozusagen nur die Pole eines sehr großen Spektrums.
Mit Geschlechterrollen kann man spielen und Crossdressing ist eine Art, die Grenzen des binärem System zu überschreiten. Was genau Crossdressing ist und was es mit dem Spiel mit der genderassoziierten Kleidung auf sich hat, verraten wir Dir in diesem Artikel.
Was heißt Crossdressing?
Der Begriff Crossdressing ist ein Anglizismus, der sich aus zwei Teilen zusammensetzt. Der erste Teil besteht aus dem Wort cross. Als Substantiv verwendet bedeutet es Kreuz, als Verb to cross bedeutet es etwas überkreuzen oder überqueren.
Der zweite Begriff dressing kommt vom Wort dress, zu Deutsch Kleid. Dressing heißt in diesem Fall also sich kleiden. Wenn man dann beide zusammenfügt, kann man Crossdressing ungefähr mit sich über Kreuz oder queer kleiden übersetzen.
Crossdressing bedeutet also, dass eine Person Kleidungsstücke anzieht, die das „gegenteilige“ Geschlecht repräsentieren. Einfach gesagt: Menschen, die sich als Mann identifizieren, tragen Kleidungsstücke, die wir in der Gesellschaft als Frauenklamotten definieren. Und umgekehrt.
Gleich zu Beginn möchten wir anmerken, dass es selbstverständlich von Gesellschaft, Ort und Zeit abhängt, welches Kleidungsstück welchem Geschlecht zugewiesen wird. Während in Schottland schon immer Männer die Röcke trugen, gelten Röcke in anderen Teilen der Welt eher als „weibliches“ Kleidungsstück.
Worauf wir hinaus wollen? Letztendlich handelt es sich bei Kleidung lediglich um zusammengenähte Stoffteile. Dabei scheint es fast willkürlich, den Textilien ein Geschlecht zuzuweisen. Allerdings werden wir alle mit gewissen Sehgewohnheiten sozialisiert, weshalb wir noch immer Kleider und Make-up eher mit femininen Look assoziieren, wohingegen Schnurbart und Anzug als „männlich“ gelten.
Wie sieht Crossdressing in der Praxis aus?
Crossdressing kann in den eigenen vier Wänden stattfinden, natürlicher Teil des Alltags oder Teil einer Bühnenperformance sein. Feste Regeln, wo und wann Crossdressing stattfindet, gibt es nicht.
Viele Crossdresser tasten sich erst einmal im Privaten an diese Art der Kleidung heran. Gerade Männer, die sich in femininen Klamotten wohlfühlen, haben oft Angst vor der gesellschaftlichen Reaktion. Noch immer hält sich der Stereotyp, dass Crossdresser entweder homosexuell oder transgender sind. Doch weit gefehlt! Die Art sich zu kleiden, hat nichts mit der eigenen sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität zu tun.
Etwas erfahrenere und selbstbewusstere Crossdresser leben das Spielen mit genderassoziierter Kleidung auch in der Öffentlichkeit aus. Sogenannte Safer Spaces sind hierfür vor allem Partys aus der LGBTQ Community, da hier ohnehin klassische Geschlechterrollen hinterfragt werden und Kleidung als Art und Weise des Selbstausdrucks gilt. Aber natürlich geht Crossdressing in jeder Situation: Egal ob beim Einkaufen, auf der Straße oder beim Arbeiten – überall dort, wo Kleidung getragen wird, ist Crossdressing möglich.
Für einige ist Crossdressing auch eine Kunstform, die vor allem auf der Bühne ausgelebt wird. Das ist vor allem bei Drag Queens, die bei Travestie-Shows auftreten, der Fall. Hier kommen besonders schillernde Outfits und extravagantes Makeup zum Einsatz.
Behalte dabei im Hinterkopf, dass Du nicht automatisch darauf schließen kannst, ob jemand auch im Privaten gerne Crossdressing betreibt, nur weil er*sie auf der Bühne sich am Kleidungsregenbogen bedient!
Crossdressing: Gründe für diese Kleidungsart
Die Gründe, warum Menschen Crossdressing betreiben, sind so vielfältig wie die Menschen selbst.
Ein Grund kann ein gewisser sexueller Reiz sein, der wie ein Fetisch funktioniert. Das Tragen der Kleidung erregt die Person und kann somit in die unterschiedlichsten Sexualpraktiken integriert werden. Zum Beispiel in die Masturbation, aber auch in Rollenspiele mit dem*der Partner*in. Dabei können beim Crossdressing auch bestimmte Materialien wie Lack, Leder oder Nylon einen besonderen Reiz auslösen.
Ein anderer Grund kann sein, dass man seine geschlechtliche Identität zum Ausdruck bringen will. Jeder Mensch nutzt Kleidung und Styling, um seine Persönlichkeit zu reflektieren. Meist bewegen wir uns dabei aber unbewusst innerhalb der binären Geschlechternorm. Wenn man bewusst Crossdressing betreibt, kann man dadurch auch seine eigenen Persönlichkeitsanteile, die eigentlich dem anderen Geschlecht zugeordnet werden, zum Ausdruck bringen.
Eine Person die sich als Mann definiert, kann also mit dem Tragen von Röcken, Blusen oder High Heels die eigene weibliche Seite zum Ausdruck bringen, ohne gleich in der Rolle als Frau zu leben und umgekehrt. Denn wir alle haben diese unterschiedlichen Anteile in uns.
Dieser Ansatz ist die Grundlage, die Crossdressing zu einem politischen Statement machen kann. Seit Beginn der schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung ist Crossdressing ein Ausdruck dafür, sich gegen vorherrschende Geschlechterrollen zur Wehr zu setzen. Als Mann ein Kleid zu tragen kann ein revolutionärer Akt sein, in dem man der Gesellschaft den Stinkefinger zeigt und klar macht, dass es egal ist, wer welche Kleidung trägt und dass auch ein Mann im Kleid durchaus noch immer ein Mann ist.
Für manche Menschen ist Crossdressing aber auch der erste Schritt, das eigentlich empfundene Geschlecht zu leben. Wenn eine trans* Person am Anfang ihres Weges steht, sich also entschieden hat, das äußere Erscheinungsbild dem innerlich empfundenen anzupassen, ist Crossdressing eine gute Möglichkeit.
Die wenigsten trans* Frauen trauen sich am Anfang komplett mit Make-up, langen Haaren, Kleid und High Heels im Alltag unterwegs zu sein. Aber einfach mal ein Oberteil tragen, das eher an eine Bluse erinnert als an ein Herrenhemd, kann Wunder in der Selbstwahrnehmung wirken.
# Denke daran
Da die Gründe für Crossdressing so vielfältig sind, kannst Du nur vom Erscheinungsbild einer Person keine Rückschlüsse auf sexuelle Präferenzen, die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität ziehen!
Crossdressing in der Geschichte
Crossdressing ist nicht etwa ein neues Phänomen. Historisch betrachtet gibt es in vielen Gesellschaften und Kulturen eine lange Geschichte im Hinblick darauf, Geschlechterrollen durch Kleidung zu durchbrechen.
Dabei spielt zum einen Crossdressing im Theater eine wichtige Rolle. Schon Shakespeare besetzte weibliche Rollen mit männlichen Schauspielern, sodass auf der Bühne Männer in Kleidern und hohen Schuhen zu sehen waren. Und auch umgekehrt gab es die sogenannten „Hosenrollen“, bei denen männliche Figuren durch weibliche Schauspielerinnen dargestellt werden.
Auch außerhalb des Theaters bedienten sich Frauen schon lange am „männlichen“ Kleiderschrank, um beispielsweise soziale Privilegien von männlich gelesenen Personen zu nutzen. So kann Crossdressing sogar zum Schutz werden, geschlechtsspezifischer Unterdrückung zu entgehen!
Doch auch die spaßige Seite, die mit der Freiheit der Kleiderwahl verbunden ist, genießt auch im historischen Kontext schon lange Beliebtheit. Schon seit es Fotoaufzeichnungen gibt, gibt es auch Fotografien von Menschen, die mit geschlechtsunüblichen Outfits spielen. Oft sind die Gründe hierfür nicht übermittelt. Es lässt sich allerdings davon ausgehen, dass die Facette, sich selbst frei auszudrücken, auch im historischen Kontext bereits eine Rolle gespielt hat.
Ist Crossdressing und Drag (Queen) dasselbe?
Crossdressing und Drag ist nicht dasselbe! Es gibt zwar viele Ähnlichkeiten, aber durchaus auch Unterschiede. Man könnte sagen, dass Crossdressing ein Überbegriff ist und die Performance von Drag Queens als Unterkategorie des Crossdressings gilt.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass nicht jeder, der gerne Crossdressing betreibt eine Drag Queen (oder ein Drag King) ist. Denn wie bereits erwähnt, sind die Gründe für das Tragen gender-nonkonformer Kleidung vielfältig. Drag Queens zelebrieren das Crossdressing in einem öffentlichen Setting auf einer Bühne. Es gibt jedoch auch viele Crossdresser, die das Ausdrücken der Kleidung nur für sich selbst machen und nicht als Bühnenshow – auch hier liegt ein Unterschied.
Crossdressing und trans*: Gibt es einen Zusammenhang?
Crossdressing und trans* Sein sind ebenfalls nicht dasselbe. Crossdressing ist eine Art sich zu kleiden, trans* beschreibt eine Geschlechtsidentität. Trans* Menschen wurde bei der Geburt aufgrund ihrer körperlichen Biologie (Penis oder Vulva und Vagina) ein Geschlecht zugewiesen, dass nicht zu ihrer empfundenen Geschlechtsidentität passt.
Crossdressing kann eine von vielen Möglichkeiten für trans* Menschen sein, ihr Auftreten im Alltag mehr an die eigene Geschlechtsidentität anzupassen. Allerdings verschwimmen auch hier die Grenzen: Denn wer als trans* Frau lebt und weiblich assoziierte Kleidung trägt, bedient sich ja gar nicht am Kleiderschrank des „anderen“ Geschlechts, sondern an der Kleidung, die zur eigenen Geschlechtsidentität passt!
Auch hier solltest Du im Hinterkopf behalten, dass die Crossdressing Gründe so facettenreich sind, dass es schier unmöglich ist, von der Tatsache, dass jemand Crossdressing betreibt, auf dessen Geschlechtsidentität zu schließen. Denke daran: Nicht alle Crossdresser sind trans*! Nur, wenn eine Person von sich aus über ihre Geschlechtsidentität spricht, kannst Du Dir sicher sein.
Crossdressing: Begriff Sissy erklärt
Schon einmal was von dem Begriff Sissy (Boy) gehört? Ursprünglich hat das Wort eher eine negative Bedeutung. Sissy wurde abwertend verwendet für Jungs und Männer, die sich „unmännlich“ verhielten, als schwach galten oder sich besonders für „weibliche“ Aktivitäten interessierten.
Doch wie so oft in der queeren Community kam es irgendwann dazu, dass Menschen aus der Community den Begriff für sich selbst annahmen und mit einer positiven Bedeutung besetzten. So meint der Begriff Sissy (Boy) heute einen Mann, der vor allem im sexuellen Kontext mit den Erwartungen an männlicher Sexualität bricht. Er trägt sexy Dessous, erotische Strapsen und verhält sich beim Sex eher passiv und/oder submissiv.
Viele Sissys bedienen sich zum Ausdrücken ihrer Vorliebe auch dem Crossdressing. Beim Sissy-Sein handelt es sich um eine sexuelle Vorliebe und nicht um eine geschlechtliche Identität. Natürlich gibt es auch trans* Sissys, aber ebenso auch cis Männer, die beim Sex in die Rolle des Sissys schlüpfen und im Alltag kein Crossdressing ausleben.
Fazit zum Crossdressing
Crossdressing beschreibt eine Art und Weise sich zu kleiden. Dabei greift man zu Kleidungsstücken, die stereotypisch dem „anderen“ Geschlecht zugewiesen sind. Männer in Kleidern und Frauen in Anzügen gelten als Crossdresser.
Die Gründe fürs Crossdressen sind dabei sehr facettenreich. Sie reichen vom kreativen Modeausdruck, über sexuelle Vorlieben bis hin zum Unterstreichen der eigenen Geschlechtsidentität.
Fest steht: Mode und Geschlechtervorstellungen sind ständig im Wandel. Gut möglich, dass es in einigen Jahren als total selbstverständlich wahrgenommen wird, wenn Männer Kleider und Strumpfhosen tragen. Solange diese Kleidungsstücke allerdings noch eher mit einem femininen Ausdruck verknüpft sind, spricht man hier von Crossdressing.