Ist Homosexualität angeboren?
Wenn eine Frau eine andere Frau auf der Straße küsst oder zwei Männer Händchen halten, sorgt das oft noch für verwunderte Blicke anderer Passant:innen. Zwar wird Homosexualität weitestgehend in unserer Gesellschaft akzeptiert, dennoch gibt es immer noch Menschen, die sich daran stören. Dabei sollen fünf bis sieben Prozent der Menschen homosexuell sein.
Aber wo kommt Homosexualität her? Und wie entsteht sie? Antworten versucht die Wissenschaft zu finden: Laut Forscher:innen ist Homosexualität erst einmal angeboren und somit eine ganz natürliche Facette der menschlichen Sexualität. Es soll verschiedene Faktoren geben, an denen sich die Homosexualität einer Person im Körper nachweisen lässt.
Entsteht Homosexualität im Gehirn?
Da wären zum Beispiel Strukturen im Gehirn. Der Neurowissenschaftler Simon LeVay fand heraus, dass eine Zellregion im Gehirn von heterosexuellen Männern zwei- bis dreimal größer ist als bei schwulen Männern. Diese Region ist mit für das Sexualverhalten verantwortlich.
Der Neurobiologe Roger Gorski und seine Kolleg:innen fanden eine andere Stelle im Hirn: Ein Faserbündel, das bei homosexuellen Männern sehr stark ausgeprägt ist. Bei heterosexuellen Männern ist es hingegen sehr klein. Bei Frauen etwas größer. Damit kann Homosexualität zwar erkannt, aber nicht erklärt werden.
Gibt es das “Schwulen-Gen”?
Weiter suchen Forschende seit Jahrzehnten nach dem sogenannten “Schwulen-Gen”, einem Gen, das für die Sexualität zuständig sein soll. Bisher konnte dieses jedoch nicht nachgewiesen werden. Dennoch lassen sich gewisse genetische Auffälligkeiten bei queeren Personen erkennen: 2005 entdeckte eine Forschungsgruppe DNA-Strecken, die bei 60 Prozent aller schwulen Männer auftraten, die an der Untersuchung teilnahmen. Das weist darauf hin, dass ein Teil der sexuellen Orientierung sehr wohl in den Genen festgelegt wird. Außerdem fand die Forschungsgruppe weitere Gengruppen, die häufig bei schwulen Männern auftreten. Zwei anderen Gengruppen waren hingegen bei lesbischen Frauen auffällig.
Homosexualität: Weitere Theorien und Erklärungsversuche
Mittlerweile glaubt man zudem, dass die Hormone der Mutter während der Schwangerschaft einen Einfluss auf die Sexualität des Kindes haben. Dabei handelt es sich um ein Protein, das die Entwicklung der Hirnareale mitbestimmt, die bei Männern für die Sexualität zuständig sind. Übrigens fiel Forscher:innen auf, dass viele schwule Männer einen älteren Bruder haben. Bei der zweiten Geburt sollen Antikörper im Körper der Mutter gegen das Protein angehen, das die Sexualität des Sohnes bestimmt.
Zu all diesen Ergebnissen und Forschungsansätzen gesellen sich weitere Erklärungsversuche: Zum Beispiel sollen Mütter ihre sexuelle Orientierung an die Söhne weitergeben und Väter an die Tochter, wenn das Kind homosexuell wird. Demnach wäre die sexuelle Orientierung eine von den Eltern weitergegebene Veranlagung. Eine klare Erkenntnis oder Erklärung gibt es bisher aber nicht. Tatsächlich spielen sehr wahrscheinlich neben den genetischen auch soziale Faktoren in die sexuelle Orientierung eines Menschen mit ein. Unsere Sexualität ist immerhin sehr komplex.
# Über den Autor
Sebastian Goddemeier ist Autor, Journalist und Sprecher und EIS-Experte für queere Themen. Zum Autorenprofil.
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