Intersexuell
Geschlechtliche Vielfalt erklärt
Intersexuell ist die Bezeichnung für ein körperliches Geschlecht, das weder männlich, noch weiblich ist. Dabei handelt es sich bei Intersexualität keinesfalls um eine Krankheit, sondern vielmehr um geschlechtliche Vielfalt auf körperlicher Ebene. Was genau es bedeutet, intersexuell zu sein und inwiefern intersexuelle Menschen zur queeren Community gehören, liest Du in diesem Artikel.
Intersexuell Bedeutung: Was ist intersexuell?
Der Begriff intersexuell (lat. „inter“: zwischen, „sexus“: Geschlecht) beschreibt eine Variante der Geschlechtsentwicklung. Dabei geht es darum, welche geschlechtlichen Ausprägungen ein Körper hat.
Bei intersexuellen Menschen sind die körperlichen Merkmale nicht (nur) männlich oder nicht (nur) weiblich. Allerdings heißt das nicht, dass intersexuelle Personen ein uneindeutiges Geschlecht haben! Sie sind eindeutig intergeschlechtlich!
Doch woran macht man das körperliche Geschlecht einer Person fest? So viel vorweg: Es geht um weit mehr, als die Genitalien! Folgende anatomischen, hormonelle und genetische Merkmale sind für die Geschlechtszuordnung relevant:
Bei intergeschlechtlichen Menschen treten diese körperlichen Merkmalen in anderen Kombinationen auf als bei weiblichen oder männlichen Personen. So kann es beispielsweise sein, dass eine Person eine Vulva, aber innenliegende Hoden statt einer Gebärmutter hat. Oder einen Penis und im Körperinneren Eierstöcke besitzt.
Chromosomale und hormonelle Abweichungen sind oft gar nicht so leicht festzustellen. Wie viele Menschen kennen schon ihren vollständigen Chromosomensatz? Würden wir alle Menschen im Hinblick auf diese Merkmale untersuchen, würde wohl noch eine viel größere körperliche Vielfalt sichtbar werden, als wir es uns aktuell vorstellen können.
Wie entsteht Intersexualität?
Die biologischen Aspekte der Intersexualität zusammenzufassen, ist gar nicht so leicht. Immerhin haben Wissenschaftler:innen mittlerweile mindestens 40 verschiedene Varianten der Intersexualität festgestellt! Entstehung und Ursache der Intersexualität sind jeweils ganz individuell.
Doch fast allen Ausprägungsformen ist gemeinsam, dass die Grundlage für die intergeschlechtliche Entwicklung bereits beim Embryo beginnt. Hierzu ein kleiner Exkurs in die Entwicklung eines Embryos: Zu Beginn haben alle Embryos die gleichen Strukturen, unabhängig vom Geschlecht. Ganz unterschiedliche Einflüsse (z.B. Hormone, Enzyme und Gene) sorgen dann erst im Laufe der Entwicklung des Embryos dafür, dass sich beispielsweise die Genitalien und Keimdrüsen (also Hoden oder Eierstöcke) differenziert entwickeln.
Da in jedem Embryo prinzipiell die Anlagen für jede geschlechtliche Entwicklung angelegt sind, kann es hier auch immer dazu kommen, dass es an zahlreichen Stellen zur Abweichung der binären Entwicklung (nur männlich oder nur weiblich) kommt. So können intergeschlechtliche Körper entstehen.
# Tipp
Wer mehr zu intergeschlechtlichen Entwicklung lesen möchte, wird bei „Geschlecht, Intersex, DSD – woher, wohin?“ von Holterhus und Hiort (2020) fündig.
Intersexualität: Formen und Ausprägung ganz unterschiedlich
Da es so viele verschiedene intergeschlechtliche Varianten gibt, macht es wohl eher Sinn, von einer dritten Geschlechtskategorie anstatt eines dritten Geschlechts zu sprechen. Nicht jeder intersexuelle Mensch sieht gleich aus und auch die körperlichen Anlagen können sehr unterschiedlich sein.
Es kann auch vorkommen, dass die Intergeschlechtlichkeit erst während der Pubertät auffällt, wenn sich die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale anders entwickelnd als bei anderen Gleichaltrigen.
Doch welche Formen der Intersexualität gibt es nun? Hier sind die häufigsten Varianten der intersexuellen Geschlechtsentwicklung im Überblick:
Wie bereits erwähnt, gibt es allerdings noch weit mehr Formen der Intersexualität. Behalte im Hinterkopf, dass Körper – ganz unabhängig von ihrem Geschlecht – vielfältig sind und man Menschen ihr Geschlecht oft nicht ansehen kann.
Verschiedene inter* Begriffe im Überblick
Intersexuell, intergeschlechtlich, inter*… Bedeuten diese Begriffe alles das gleiche? Prinzipiell ja! Intersexuell ist die bekannteste Bezeichnung, allerdings werden immer mehr Stimmen laut, welche die Bezeichnung intergeschlechtlich als passender empfinden. Schließlich geht es hier auch um die geschlechtliche Entwicklung und nicht um die sexuelle Orientierung. International wird für die intersexuelle Entwicklung zunehmend die Bezeichnung „Differences of Sex Development“ (DSD) verwendet.
Oft wird auch die Abkürzung inter* als Synonym verwendet. Das Sternchen soll dabei Raum für die unterschiedlichen Wortendungen schaffen. Von vielen wird die inter* Schreibweise als besonders inklusiv wahrgenommen.
Im Gegensatz dazu sind einige Begriffe für Intersexualität historisch mit einer negativen Bedeutung aufgeladen und sollten daher heutzutage nicht mehr verwendet werden. Lange Zeit wurde beispielsweise das Wort Hermaphrodit als Synonym verwendet.
Viele inter* Personen lehnen die Bezeichnung Hermaphrodit allerdings ab. Denn das Wort hat seinen Ursprung in der griechischen Mythologie und impliziert, dass inter* Menschen eine Art Monster oder unnatürliche Abweichung wären – das geht natürlich gar nicht!
Ebenso sind die Bezeichnungen „Zwitter“ und „Zwitter Mensch“ diskriminierend und sollten keinesfalls für intergeschlechtliche Menschen verwendet werden. Wenn ein intersexueller Mensch diese Begriffe als politische Selbstbezeichnung wählt, ist dies etwas anders. Wenn Du allerdings nicht zur intergeschlechtlichen Community gehörst, solltest Du diese Begriffe nicht verwenden!
Intersexuell: Häufigkeit gar nicht so selten!
Wie viele intersexuelle Menschen es gibt, ist nicht ganz klar. Denn es gibt keine Meldepflicht für intergeschlechtlich geborene Kinder. Zudem scheint es auch globale Schwankungen in der Häufigkeit zu geben.
Die vereinten Nationen geben in ihrem Factsheet zur Intersexualität an, dass circa 1,7 % der Bevölkerung intergeschlechtliche Merkmale aufweist. Das sind immerhin ähnlich viele Menschen, wie es auch Menschen mit roten Haaren gibt (etwa 1-2 % der Bevölkerung).
Und es würde sicherlich niemand so weit gehen und behaupten, dass es rothaarige Menschen nicht gibt oder deren Rechte weniger wichtig wären. Mit derselben Selbstverständlichkeit sollten auch die Rechte von intersexuellen Menschen anerkannt werden!
Geschlechtsangleichende OPs bei intergeschlechtlichen Personen
In unserer Gesellschaft herrscht noch immer oft ein sehr binäres (also zweigeteiltes) Denken, wenn es um Geschlechtervorstellungen geht. Körper werden in männlich und weiblich eingeteilt, alle anderen Varianten werden ausgeblendet.
Das führt immer wieder dazu, dass unnötige geschlechtsangleichende Operationen an intergeschlechtlichen Kindern durchgeführt werden. Ihr Aussehen soll an die binäre Vorstellung angepasst werden. Diese Eingriffe lassen sich allerdings nicht rückgängig machen und können sogar zu Unfruchtbarkeit, Schmerzen, Verlust der Libido und psychischen Leiden führen. Seit 2021 sind diese medizinisch unnötigen geschlechtsangleichenden Operationen in Deutschland für intersexuelle Kinder daher verboten.
Erst wenn intergeschlechtliche Personen alt genug sind, um Auskunft über ihre Geschlechtsidentität zu geben und einem operativen Eingriff zuzustimmen, sind OPs erlaubt. Denn nur anhand der körperlichen Merkmale sind noch kein Rückschluss auf die empfundene Geschlechtsidentität möglich. Intergeschlechtliche Menschen können sich durchaus eher weiblich oder eher männlich fühlen. Andere wiederum fühlen sich auch mit der Bezeichnung nicht-binär für ihre Geschlechtsidentität am wohlsten.
Wie eine intergeschlechtliche Person ihre Geschlechtsidentität definiert kann nicht verallgemeinert werden! Daher macht es auch keinen Sinn, den Körper von intergeschlechtlichen Kindern an eine Norm anzupassen, denen ihre Geschlechtsidentität womöglich gar nicht entspricht.
Geschlechtseintrag divers für intersexuelle Menschen
Rechtlich erhalten intersexuelle Menschen immer mehr Sichtbarkeit. So haben sie beispielsweise seit 2019 die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag „divers“ zu wählen. Wie oben erwähnt, gibt es durchaus auch inter* Menschen, die sich mit dem weiblichen oder männlichen Geschlecht identifizieren.
Daher können intergeschlechtliche Menschen auch „weiblich“ oder „männlich“ in den Personenstand eintragen lassen. Außerdem ist es auch möglich, die Eintragung streichen zu lassen und keine Angabe zu machen.
Wird bei der Geburt ein unpassendes Geschlecht eingetragen, kann dies im Nachhinein geändert werden. Dazu müssen sich intergeschlechtliche Menschen an das Standesamt wenden, das ihr Geburtenregister führt. Nach aktueller Gesetzeslage muss eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. Dabei muss keine genaue Diagnose genannt werden. Dieser Prozess könnte mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetzt vereinfacht werden.
# IDAHOBIT Aktionstag
Am 17.05. ist weltweit der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. An diesem Tag wird auch auf die Rechte von intergeschlechtlichen Personen aufmerksam gemacht und gegen deren Diskriminierung gekämpft.
LGBTQIA: Intersexuell gehört zur queeren Community
Gehören Intersexuelle zur queeren Community? Ja, denn die queere Community ist eine Gemeinschaft für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Die Abkürzung LGBTQIA enthält in ihrer längeren Form daher auch das „I“ für intersexuell.
Das Intersexualität zur queeren Community gehört, bedeutet allerdings nicht, dass auch die sexuelle Orientierung von inter* Menschen queer ist. Es gibt durchaus intersexuelle Personen, die sich als heterosexuell bezeichnen. Ebenso gibt es aber natürlich auch inter* Menschen, die bisexuell, pansexuell, homosexuell (schwul oder lesbisch) oder asexuell sind.
Denn die geschlechtliche Identität und die sexuelle Orientierung sind ganz unabhängig voneinander. Von dem einen kannst Du deshalb keine Rückschlüsse auf das andere ziehen. Zudem sind sexuelle Label vor allem auch immer selbst gewählt. Wenn Du also wissen möchtest, inwiefern sich eine intersexuelle Person als queer bezeichnet, hilft nur: Nachfragen!
Intersexuelle Pride Flagge: Gelb und lila
In der queeren Community ist es üblich, dass die verschiedenen sexuellen und geschlechtlichen Orientierungen eigene Flaggen haben. Das soll Sichtbarkeit und ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen.
Natürlich darf dabei auch die intersexuelle Pride Flagge nicht fehlen! Sie besteht aus einem lilafarbenen Kreis, der auf einem gelben Untergrund abgebildet ist. Die Farben sind dabei extra so gewählt, dass sie nicht mit dem weiblichen oder männlichen Geschlecht verknüpft sind.
Der Kreis soll das Ungebrochene, die Ganzheit und die Potentiale von inter* Personen darstellen. Noch immer müssen intergeschlechtliche Menschen für ihr Recht auf körperliche und genitale Unversehrtheit kämpfen – auch in dieser Hinsicht soll der Kreis symbolisch für die Selbstbestimmung stehen.
Übrigens: Die Pride Flags sind nicht nur am Christopher-Street-Day während des Pride Months zu sehen. Das ganze Jahr über kommen die bunten Flaggen zum Einsatz, um Solidarität und Zugehörigkeit auszudrücken!