Homosexuell im Alter
Homosexuelle Menschen – also Schwule und Lesben – sind genauso vielfältig wie alle anderen Menschen auch. Doch noch immer befeuern Stereotype die Wahrnehmung von Homosexuellen. So denken viele, sie seien ausschließlich jung und exzentrisch. Von Homosexualität im Alter ist dabei selten die Rede.
Dabei ist es wichtig, auch die Lebensrealität von Homosexuellen im Alter in den Blick zu nehmen. Denn gerade sie hatten im Laufe ihres Lebens mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Von §175 bis hin zu aktuellen Herausforderungen: Hier liest Du alles rund um das Thema homosexuell im Alter.
Homosexualität ist keine Frage des Alters
Das mediale Bild von Homosexualität ist oft bunt und schrill. Doch genauso wie bei Heterosexuellen oder jeder anderen sexuellen Orientierung sollte jedem immer bewusst sein: Jeder Mensch ist individuell, innerlich sowie äußerlich.
Es gibt junge und alte Heterosexuelle, genauso gibt es auch junge und alte Bisexuelle, Homosexuelle, Pansexuelle und Asexuelle im Alter: Die sexuelle Identität hängt nicht vom Geburtsjahr oder Alter ab!
Doch warum outen sich dann mehr junge Menschen? Wieso gehen Homosexuelle im Alter oft nicht an die Öffentlichkeit? Das liegt vor allem an unserer Gesellschaft und daran, wie sich der Blick auf Homosexualität in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Während noch zu Beginn der 90er Jahre homosexuelle Handlungen als strafbar galten, nimmt die Sichtbarkeit der LGBTQ-Community durch Events wie den Christopher Street Day im Pride Monat immer mehr zu.
Wer im 20. Jahrhundert groß wurde und homosexuell war, musste ohne öffentliche Vorbilder und trotz strafrechtlicher Verfolgung seinen Weg zu sich selbst finden. Aufgrund der Umstände hielten fiele ihre Homosexualität lange geheim. Das bedeutet also nicht, dass es Lesben und Schwule im Alter nicht gibt, sondern eher, dass sie aufgrund der Vergangenheit gelernt haben, diskret mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen und diese nicht zu sehr nach außen zu tragen.
Homosexuell im Alter: Ein Leben mit §175
Trauriger Höhepunkt der Stigmatisierung von Homosexualität war der §175 - umgangssprachlich auch als “Schwulen-Paragraf” bezeichnet. Paragraf 175 war von 1872 bis 1994 in Kraft - über 100 Jahre, in denen homosexuellen Menschen aufgrund ihrer Liebe strafrechtliche Verfolgung drohte. Während der NS-Zeit wurde der Paragraf weiter verschärft - schwule Männer schwebten jetzt in Lebensgefahr.
Doch auch nach der NS-Zeit wurde die Strafbarkeit von Homosexualität nicht aufgehoben. Sowohl in der DDR als auch in der BRD blieben entsprechende Gesetzte intakt. Allein in der Zeit zwischen 1949 und 1969 kam es zu 50.00 Verurteilungen. Erst 1994 wurde der Paragraf 175 endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen – doch zurück blieben noch immer tief verwurzelte Unsicherheiten und Ängste im Hinblick auf die eigene Homosexualität.
Entschädigung für homosexuelle im Alter nach StrRehaHomG
Dass Verurteilungen nach dem Paragraf 175 nicht rechtens waren, gestand 2017 auch der Gesetzgeber ein. Es folgte das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG).
Das Ziel: Wiedergutmachung leisten für Menschen, die aufgrund des §175 verurteilt worden waren. Strafrechtliche Urteile wurden aufgehoben und Entschädigungszahlungen geleistet. Noch bis zum 21. Juli 2027 können Anträge auf Entschädigung gestellt werden.
Homosexuelle im Alter, die im 20. Jahrhundert wegen ihrer sexuellen Orientierung verurteilt wurden, können nun also auf Wiedergutmachung hoffen. Doch die über Jahrzehnte erlernte Unsicherheit wegen der eigenen Queerness sitzt tief – so wundert es nicht, dass viele Homosexuelle sich erst im hohen Alter outen.
Homosexuelles Outing im Alter
Man ist nie zu alt, um zu sich selbst zu finden. Daher kann auch ein Comingout im höheren Alter wie ein Befreiungsschlag wirken. Doch es bringt auch viele Unsicherheiten mit sich. Vielleicht hat man jahrelang in einer heterosexuellen Partnerschaft gelebt, Kinder aus einer heterosexuellen Ehe oder einfach noch nie laut ausgesprochen, dass man schwul oder lesbisch ist. Während auch von heterosexuellem Sex im Alter selten die Rede ist, ist homosexueller Sex im Alter nahezu unsichtbar. Noch immer erfordert ein homosexuelles Outing im Alter daher Mut.
Du überlegst Dich als homosexuell zu outen? Dann suche Dir zunächst eine Person, der Du vertraust und öffne Dich ihr. Oft ist es leichter, erstmal eine Person einzuweihen, als vor der gesamten Familienfeier zu sprechen. Diese Person kann dann für Dich da sein, auch wenn nicht alle in Deinem Umfeld verständnisvoll auf Dein spätes Outing reagieren.
Außerdem kann es hilfreich sein, mit Gleichgesinnten zu sprechen. In größeren Städten gibt es Stammtische, Vereine und sogar WGs für Homosexuelle im Alter. Kleinere Orte bieten oft nicht ganz so leicht Zugang zum Vernetzen. Doch dann kannst Du Dich im Internet umschauen. Hier gibt es zahlreich Foren und Gruppen, die sich mit der Homosexualität im Alter beschäftigen. Dort findest Du mit Sicherheit andere Menschen, die ähnliche Erfahrungen wie Du teilen – das verbindet!
Denke beim Comingout immer daran: Du schuldest niemanden etwas. Wenn Du Deine sexuelle Orientierung preisgeben möchtest, um zu Dir selbst zu stehen – super! Und wenn Du beschließt, nur einige wenige Menschen ins Vertrauen zu ziehen, ist das auch total nachvollziehbar. Achte auf Dich selbst und darauf, was Dir guttut!
Du möchtest mehr zum Thema Älterwerden und Schwulsein lesen? Dann wirf auch einen Blick auf das Interview mit Ralf König, der über seine Homosexualität im Alter spricht.
Rechtliche Besonderheiten der Homosexualität im Alter
Sich mit dem nahenden Lebensende auseinanderzusetzen ist keine leichte Angelegenheit – dabei ist es ganz egal, wen man liebt, wir alle altern gleich. Falls man in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt, möchte man gewiss den:die Partner:in im Sterbefall abgesichert wissen. Das kann nur gelingen, wenn eine eingetragene Lebensgemeinschaft oder Ehe besteht und ein Testament vorhanden ist.
Ist dies nicht der Fall, gilt die gesetzliche Erbfolge, so dass die Kinder erben, oder gegebenenfalls auch die Geschwister und deren Kinder. Dann würde der Mensch, den der Verstorbene lange Zeit innig geliebt hat, mit leeren Händen dastehen. Deshalb sollte unbedingt bei einem Notar oder einer Notarin ein entsprechendes Testament aufgesetzt werden, welches den:die hinterbliebene:n Partner:in im Ernstfall finanziell absichert.
Erbrechtlich mit heterosexuellen Paaren gleichgestellt sind schwule und lesbische Pärchen jedoch in einer offiziellen Lebenspartnerschaft und in einer homosexuellen Ehe. Dann wird im Todesfall sogar eine Hinterbliebenenrente ausgezahlt.
Fazit: Es ist nie zu spät, zu sich selbst zu stehen
Egal ob aus rechtlichen Gründen oder weil es Dir einfach ein gutes Gefühl gibt: Wenn Du Dich im Alter als schwul oder lesbisch outest, kann das wie ein zweiter Geburtstag sein. Plötzlich kannst Du Dich ganz so zeigen wie Du bist und musst keinen Teil von Dir mehr verstecken.
Natürlich ist der Weg dorthin nicht immer leicht – doch die Unterstützung von Gleichgesinnten und nahen Freund:innen kann Dir etwas Last abnehmen. Und auch wenn Du Dich im Alter nur vor Dir selbst outest und die Frage: “Bin ich homosexuell?” nur für Dich im privaten mit “Ja!” beantwortest, so kann auch das ein wohltuendes Eingeständnis sein. Ob Du Deine sexuelle Orientierung anderen verraten möchtest oder nicht, liegt immer in Deinem eigenen Ermessen!