Homosexualität ist keine Krankheit
Vor einigen Jahren machte ich eine ziemlich schlimme Trennung durch. Die Trennung war so schlimm, dass ich mir Hilfe bei einem Psychotherapeuten suchen wollte, um all das zu verarbeiten und mit der Situation umzugehen. Als ich bei dem Herren, der gefühlt noch das Sinken der Titanic mitbekommen haben muss, vorsprach und ihm erzählte, dass ich einen Freund hatte, schaute der mich entgeistert an und fragte: “Sie sind schwul?” Ich so: “Ja.” Er so: “Haben Sie HIV?”
Gesehen habe ich diesen Psychotherapeuten nie wieder. Mit dem Vorurteil, dass Aids eine Schwulenkrankheit ist und alle Schwulen mit HIV infiziert sind, wurde ich noch viele Male konfrontiert. Dabei geht das Problem, glaube ich, noch viel tiefer: Zwar wird auf der einen Seite häufig geglaubt, dass Schwule alle möglichen Sexualkrankheiten haben – und tatsächlich sind die Ansteckungsraten unter Männern, die mit Männern Sex haben, etwas höher –, allerdings wurde Homosexualität selbst sehr lange als Krankheit verstanden. Ich denke, dass dieser Punkt fast ausschlaggebender ist.
Homosexualität galt lange als Krankheit
Erst am 17. Mai 1990 entschied die Weltgesundheitsorganisation, dass Homosexualität nicht länger als eine psychische Krankheit gilt. Bis zu diesem Tag mussten etliche Männer Umerziehungs-Therapien machen, erfuhren Gewalt oder gingen ins Gefängnis. 17 Jahre zuvor, im Jahr 1973, wurde Homosexualität bereits aus dem US-amerikanischen Handbuch der psychischen Störungen gestrichen. Und selbst in Deutschland wurden schwule Männer nach dem Paragraphen 175 noch bis 1994 bestraft – Homosexualität war bis dahin eine Straftat.
Für trans Menschen sieht es noch schlimmer aus: Erst 2019 wurde Transidentität von der Liste psychischer Erkrankungen gestrichen. Dennoch müssen trans Menschen sich immer noch als psychisch krank diagnostizieren lassen, wenn sie eine Geschlechtsangleichung beginnen wollen. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Das ist ziemlich ätzend und sehr viele Menschen leiden darunter.
Konversionstherapien machen krank und nicht gesund
Ein Problem ist auf der einen Seite die Gesellschaft, die queere Menschen zum Teil immer noch stigmatisiert. Auf der anderen Seite hinkt auch die Politik hinterher: Bis letztes Jahr waren sogenannte Konversionstherapien, die queere Menschen “hetero machen” sollen, erlaubt. Erst im Mai 2020 verkündete das Bundesgesundheitsministerium, dass Konversionstherapien nun verboten sind – allerdings nur für Minderjährige. Erwachsene, die zum Beispiel unter Ausgrenzung und Gewalt gelitten haben oder einfach nur glauben, homosexuell zu sein sei schlicht falsch, können sich weiterhin therapieren lassen.
Gesundheitsminister Jens Spahn sagte dazu: “Homosexualität ist keine Krankheit. Daher ist schon der Begriff Therapie irreführend. Wir wollen sogenannte Konversionstherapien soweit wie möglich verbieten.” Wo sie durchgeführt werden, entstehe oft schweres körperliches und seelisches Leid. Und weiter: “Diese angebliche Therapie macht krank und nicht gesund. Und ein Verbot ist auch ein wichtiges gesellschaftliches Zeichen an alle, die mit ihrer Homosexualität hadern: es ist ok, so wie Du bist.”
Die eigene Sexualität kann nicht verändert werden
Welche verheerenden Konsequenzen sogenannte Konversionstherapien haben können, zeigt der Film “Der verlorene Sohn”, nach dem Buch “Boy Erased” von Garrard Conley. Zu sehen ist ein Junge, der durch seine Eltern mit sich und seiner Identität zu kämpfen hat – bis er an den Punkt kommt, sich selbst zu akzeptieren und den Kampf gegen sich selbst aufzugeben. Selbst wenn das heißt, sich gegen die Einstellungen seiner Eltern zu stellen.
Auch die Netflix-Doku “Pray Away” widmet sich “christlichen” Programmen in den USA und welchen Schaden sie anrichten können. Der Weltärztebund bezeichnete Konversionstherapien 2013 schlicht als Menschenrechtsverletzung. Der Deutsche Ärztetag warnte ein Jahr später vor den negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Zudem lässt keine Studie den Schluss zu, dass die eigene Sexualität verändert werden kann. Sie ist einfach da und das ist gut so. Stattdessen können solche Angebote sogar für Depressionen, Angsterkrankungen, Verlust sexueller Gefühle und ein erhöhtes Suizidrisiko sorgen. Der sogenannte Minderheitenstress entsteht. Die jahrhundertelange systematische Unterdrückung von LGBT verursachte außerdem sehr viel Scham, weshalb sich so viele nicht outen wollen. Das Suizidrisiko queerer Teenager ist vier- bis siebenmal höher als das heterosexueller Teenager – ein Grund dafür ist, dass sie sich selbst nicht annehmen können.
Bis heute gibt es Organisationen, die die “Homo-Heilung” anbieten. Das ist schrecklich und falsch. Diese Angebote verstärken ein strukturelles Problem, gegen das queere Aktivist:innen seit Jahrzehnten ankämpfen: Bis heute werden queere Menschen ausgegrenzt und angegriffen. Die, die mit sich hadern, sollen wissen, dass sie gut sind, wie sie sind. Nicht Du bist das Problem, sondern die anderen. Es wird erst leichter, wenn man den Kampf gegen sich selbst aufgibt und zu sich steht.
Homosexualität ist keine Krankheit und kein Problem
Homosexualität ist schön, weil es um Vielfalt, Identität und Liebe geht. Und genau das macht das Leben doch aus. Es wird also Zeit, dass queere Menschen noch mehr geschützt werden, indem Konversionstherapien ganz verboten und weitere gesetzliche Benachteiligungen (Adoption, Transsexuellengesetz etc.) aufgehoben werden. Erst dann werden Zeichen gesetzt, die wichtig sind, um sich der gesellschaftlichen Ausgrenzung zu widmen, damit jeder und jede ein glückliches Leben führen kann.
# Über den Autor
Sebastian Goddemeier ist Autor, Journalist und Sprecher und EIS-Experte für queere Themen. Zum Autorenprofil.
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