Unterschiedliches sexuelles Verlangen in der Beziehung
Was tun bei mismatched Libido?
In einer perfekten Welt hätten beide immer gleichzeitig Lust auf Sex – aber Hand aufs Herz: Wie oft passiert das wirklich? In vielen Beziehungen kommt es früher oder später zu einem Ungleichgewicht in Sachen Verlangen. Während eine:r öfter könnte, fühlt sich der:die andere vielleicht unter Druck gesetzt oder schlicht nicht in der Stimmung. Doch keine Panik! Unterschiedliches sexuelles Verlangen in der Beziehung bedeutet nicht automatisch das Ende der Lust – oder der Liebe. Wie Ihr einen Weg findet, mit Euren Verschiedenheiten umzugehen, ohne dass Frust oder Verletzungen überhandnehmen, erfahrt Ihr hier.
Was bedeutet mismatched Libido?
Mismatched Libido – das klingt erstmal nach einem medizinischen Problem, ist aber eigentlich eine ganz normale Herausforderung in vielen Beziehungen. Gemeint ist damit, dass die Lust auf Sex bei Partner:innen unterschiedlich stark ausgeprägt ist: Eine:r möchte häufiger, die:der andere seltener oder gar nicht.
Vergesst das veraltete Klischee, dass immer die Männer die mit der „zu hohen Libido“ sind und Frauen „keine Lust auf Sex“ haben. Das stimmt einfach nicht! Wer mehr oder weniger Verlangen nach Sex hat, hängt nicht vom Geschlecht ab, sondern von individuellen Faktoren wie Hormonhaushalt, Stresslevel, emotionalem Wohlbefinden oder einfach persönlichen Vorlieben.
Gerade zu Beginn einer Beziehung, wenn die berühmte rosarote Brille alles durch die Erotik-Linse sehen lässt, haben die meisten Paare ziemlich häufig Sex. Doch irgendwann setzt in Langzeitbeziehungen ein (hormonell bedingter) Gewöhnungseffekt ein.
Statt heißer Nächte gibt’s dann Kuscheleinheiten auf der Couch – ein Phänomen, das auch als Panda-Syndrom bekannt ist. Das ist völlig normal! Es gibt keine „richtige“ Anzahl an Sex pro Woche oder Monat. Manche Paare haben täglich Sex, andere mehrmals im Jahr – und manche gar nicht. Asexuelle Menschen zum Beispiel führen glückliche Beziehungen ganz ohne Sex.
Problematisch wird es allerdings, wenn eine:r in der Beziehung das Bedürfnis nach Sex behält oder sogar steigert, während die:der andere immer weniger Lust empfindet. Dann kann Frust, Druck oder Zurückweisung entstehen – und genau das ist der Punkt, an dem man von mismatched Libido spricht.
Doch wichtig zu wissen: Das ist kein individuelles „Problem“ einer Person, sondern eine Herausforderung für Euch als Paar. Es gibt hier keine „Schuld“, denn weder eine niedrige noch eine hohe Libido ist falsch. Die Lösung liegt nicht darin, dass eine:r sich zwingt oder der:die andere verzichtet – sondern darin, gemeinsam einen Weg zu finden, mit den unterschiedlichen Bedürfnissen umzugehen.
Diese Faktoren beeinflussen die Libido
Warum hat eine:r mehr Lust auf Sex als die:der andere? Dafür gibt es viele Gründe – und keiner davon ist „falsch“. Unsere Libido wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, von Hormonen über Stress bis hin zur Beziehungsqualität. Hier sind einige der häufigsten Einflussfaktoren auf die sexuelle Lust:
Hormonelle Einflüsse
Hormone spielen eine riesige Rolle, wenn es um Verlangen geht. Bei Frauen schwankt die Libido oft im Laufe des Menstruationszyklus: Während des Eisprungs ist die Lust meist besonders hoch, während PMS und Menstruation das Verlangen oft dämpfen. Auch in den Wechseljahren kommt es häufig zu einem Libidoverlust, weil Testosteron- und Östrogenspiegel sinken. Aber nicht nur Frauen sind betroffen – auch Männer erleben hormonelle Schwankungen, die ihre Lust beeinflussen können.
Stress und Müdigkeit
Wer nach einem langen Arbeitstag nur noch ins Bett fallen will – und zwar zum Schlafen – kennt das Problem: Stress ist ein echter Lust-Killer. Auch mentale Belastungen durch Care-Arbeit, Kindererziehung oder emotionale Verantwortung für Angehörige können dafür sorgen, dass Sex ganz unten auf der Prioritätenliste landet.
Gesundheitliche Probleme
Wenn der Körper nicht mitspielt, leidet oft auch die Lust. Chronische Schmerzen, Erkrankungen oder Nebenwirkungen von Medikamenten (ironischerweise sogar die der Pille!) können die Libido senken. Und ja, selbst Substanzkonsum kann sich negativ auswirken – hast Du schon mal vom „Kiffer-Penis“ gehört? Regelmäßiger Cannabis-Konsum kann beispielsweise die Erektionsfähigkeit beeinträchtigen.
Eigene Unsicherheiten
Wer sich in seinem Körper nicht wohlfühlt oder sich in Sachen Sex unsicher ist, hat oft Schwierigkeiten, sich fallen zu lassen. Bodyshaming, mangelnde Erfahrung oder Angst, nicht „gut genug“ im Bett zu sein, können dazu führen, dass die Lust einfach nicht aufkommt.
Psychische Probleme
Depressionen, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen wirken sich oft direkt auf die Libido aus. Während einige Menschen in belastenden Phasen mehr Sex wollen, verlieren andere das Verlangen völlig. Auch Traumata oder negative Erfahrungen in der Vergangenheit können hier eine Rolle spielen.
Beziehungsqualität
Manchmal liegt die Sexflaute nicht an der Libido, sondern an der Partnerschaft selbst. Wenn Ihr Euch ständig streitet oder emotionale Distanz spürt, ist es kein Wunder, dass auch im Bett nichts mehr läuft. Konflikte können Lust und Intimität definitiv hemmen.
Die Art des Sex
Lust auf Sex hängt nicht nur davon ab, ob man welchen hat, sondern auch wie. Gerade in heterosexuellen Beziehungen gibt es die sogenannte Orgasm-Gap – Männer kommen beim Sex häufiger zum Höhepunkt als Frauen. Warum? Weil der Fokus oft auf Penetration liegt, obwohl viele Frauen klitorale Stimulation brauchen, um zum Orgasmus zu kommen. Wenn Sex immer wieder unbefriedigend abläuft, wird in Zukunft auch die Lust darauf sinken.
Dual-Control Modell der Libido
Manchmal scheint es, als würde die Lust in einer Beziehung ungleich verteilt sein – während eine:r ständig in Stimmung ist, hält sich die Begeisterung der:des anderen in Grenzen. Doch woran liegt das?
Das Dual-Control Modell der Sexualität liefert eine spannende Erklärung für unterschiedliches sexuelles Verlangen in der Beziehung: Unsere sexuelle Erregung wird von zwei gegensätzlichen Systemen beeinflusst, die darüber entscheiden, ob wir Lust empfinden oder nicht.
Jede:r hat eine ganz persönliches Zusammenspiel aus Gas-Pedal und Bremse. Manche Menschen haben ein supersensibles Gas-Pedal, andere treten (bewusst oder unbewusst) stärker auf die Bremse. Das erklärt, warum zwei Menschen in einer Beziehung oft ein unterschiedliches sexuelles Verlangen haben.
So könnt Ihr Eure Unterschiede besser verstehen
Wenn Ihr mit einem unterschiedlichen Sexualtrieb zu kämpfen habt, kann es helfen, offen darüber zu sprechen. Eine gute Grundlage dafür sind diese Fragen, die auf dem Dual Control Model der Sexualität basieren:
Indem Ihr Euch diese Fragen ehrlich beantwortet, könnt Ihr besser verstehen, was Ihr jeweils braucht – und Wege finden, Eure sexuellen Bedürfnisse in Einklang zu bringen.
Wie zeigt sich unterschiedliches sexuelles Verlangen in der Beziehung?
Woran merkt man im Beziehungsalltag nun, dass man eine unterschiedliche Libido hat? Das kann natürlich individuell sein, viele Paare berichten allerdings folgendes:
Folgen der mismatched Libido für die Beziehung
Unterschiedliches sexuelles Verlangen kann zur echten Belastungsprobe für eine Beziehung werden. Wenn die Bedürfnisse dauerhaft auseinandergehen, kann das auf beiden Seiten zu Frust, Selbstzweifeln und emotionaler Distanz führen. Oft sind es nicht nur die körperlichen Aspekte, sondern vor allem die emotionalen Konsequenzen, die das Miteinander erschweren.
Für die Person mit niedriger Libido
Wer weniger Lust auf Sex verspürt, muss ständig die eigenen Grenzen verteidigen und fühlt sich womöglich schlecht dabei, die andere Person zurückzuweisen. Der Druck, den Erwartungen des:der Partner:in gerecht werden zu müssen, kann Stress erzeugen und Selbstzweifel auslösen – besonders wenn man sich fragt, ob mit einem selbst etwas nicht stimmt. Manche lassen sich deshalb der Harmonie zuliebe auf sexuelle Handlungen ein, die sie eigentlich nicht wollen, was wiederum langfristig zu Unwohlsein und emotionaler Distanz führt.
Für die Person mit höherer Libido
Auf der anderen Seite kann die Person mit größerem sexuellen Verlangen unter der ständigen Zurückweisung leiden. Selbstzweifel können aufkommen, wenn einen die Frage plagt, ob man für die andere Person noch attraktiv ist. Die daraus resultierende sexuelle Frustration kann zu Unausgeglichenheit führen und das Gefühl erzeugen, die eigenen Bedürfnisse unterdrücken zu müssen.
Manche haben Angst, die Grenzen des:der Partner:in zu überschreiten, während andere sich schuldig fühlen, weil ihr sexuelles Verlangen als „zu viel“ empfunden wird. Im schlimmsten Fall kann die Unzufriedenheit dazu führen, dass jemand außerhalb der Beziehung nach Erfüllung sucht, sei es durch einen Seitensprung, Fremdflirten oder Sexting – selbst wenn das moralische Konflikte mit sich bringt.
Weitere interessante Artikel:
Mit unterschiedlicher Libido umgehen: 10 Tipps
Unterschiedliches sexuelles Verlangen muss nicht zwangsläufig das Ende einer glücklichen Beziehung bedeuten. Mit Offenheit, Verständnis und einer guten Portion Experimentierfreude könnt Ihr einen Weg finden, der für Euch beide passt. Hier sind einige Strategien, die Euch bei unterschiedlichem sexuellen Verlangen in der Beziehung helfen können:
#1 Reden, reden, reden
Auch wenn es unangenehm sein kann, über die unterschiedliche Libido und sexuelle Bedürfnisse zu sprechen, ist Kommunikation essenziell. Nehmt Euch bewusst Zeit, um Eure Wünsche, Grenzen und mögliche Kompromisse offen zu besprechen. Nur so könnt Ihr Missverständnisse vermeiden und eine Lösung finden, die Euch beiden guttut.
#2 Nähe ohne Sex aufbauen
Intimität ist mehr als nur Sex! Kuscheln, gemeinsames Baden oder eine sinnliche Massage können helfen, körperliche Nähe zu genießen, ohne dass daraus automatisch Sex entstehen muss. Das nimmt Anspannung aus der Situation und stärkt Eure Verbindung.
#3 Date Nights planen
Zeit zu zweit ist essenziell, aber Achtung: Feste „Sex-Termine“ können schnell Druck aufbauen. Besser ist es, regelmäßige Date Nights ohne Erwartungshaltung zu planen – sei es beim gemeinsamen Kochen, einem Ausflug oder einem besonderen Abendessen. So entsteht Raum für Leichtigkeit und vielleicht auch für erotische Stimmung, ohne dass es sich erzwungen anfühlt.
#4 Beziehung ganzheitlich betrachten
Wie läuft es zwischen Euch abseits von Eurem Sexleben? Gibt es vielleicht andere Konflikte oder Themen, die sich auf Eure Intimität auswirken? Manchmal ist eine fehlende Libido nur ein Symptom für andere Herausforderungen in der Beziehung.
#5 Selbstständigkeit bewahren
Oft schwindet sexuelles Verlangen, wenn sich in eine Beziehung der Alltag einschleicht und der Reiz des Neuen verloren geht. Findet Dinge, die Euch auch als Individuen begeistern – sei es ein neues Hobby oder mehr Zeit mit Freund:innen. Ein wenig Abstand kann die Anziehungskraft wieder stärken.
#6 Eigene Sexualität entdecken
Die Person mit höherem sexuellen Verlangen muss nicht zwangsläufig darauf warten, dass der:die Partner:in Lust bekommt. Masturbation kann eine erfüllende Alternative sein – sei es mit Pornos, erotischen Geschichten oder Sextoys.
#7 Bedeutung von Sex reflektieren
Warum ist Sex für Euch wichtig? Geht es um Nähe, Bestätigung oder einfach darum, den Körper zu spüren? Vielleicht gibt es auch andere Wege, diese Bedürfnisse zu erfüllen, ohne dass Sex immer im Mittelpunkt steht.
#8 Die richtigen Rahmenbedingungen schaffen
Manchmal fehlt nicht die Lust an sich, sondern die passenden Umstände. Welche Sinnesreize helfen Euch, in Stimmung zu kommen? Eine bestimmte Sex-Playlist, stimmungsvolles Licht oder ein besonderer Duft können den Unterschied machen. Probiert aus, was Euch beiden beim Sensory Sex gut tut!
#9 Beziehung öffnen – eine Option?
Für manche Paare ist eine offene Beziehung eine Lösung, damit die Person mit höherer Libido ihre Bedürfnisse ausleben kann. Ob durch klare Regeln für neue sexuelle Kontakte oder den bewussten Besuch bei einer Sexarbeiter:in – wichtig ist, dass beide sich mit der Vereinbarung wohlfühlen.
#10 Professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen
Manchmal steckt man in eingefahrenen Mustern fest und kommt alleine nicht weiter. Eine Paar- oder Sexualtherapie kann helfen, die Ursachen Eurer Unterschiede zu verstehen und Wege zu finden, die für Euch beide erfüllend sind.
Fazit: Unterschiedliches sexuelles Verlangen – Herausforderung, aber kein Beziehungskiller
Unterschiedliche Libido in einer Beziehung kann eine Herausforderung sein, aber sie muss nicht das Ende von Nähe und Intimität bedeuten. Entscheidend ist, dass beide Partner:innen offen und wertschätzend miteinander kommunizieren, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und gemeinsam Lösungen finden, die für alle funktionieren. Dabei geht es nicht nur um Kompromisse, sondern auch um ein tieferes Verständnis füreinander – sei es durch alternative Formen der Intimität, eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen oder neue Impulse für das gemeinsame Liebesleben.
Jede Beziehung ist einzigartig und es gibt kein Patentrezept, das für alle funktioniert. Wichtig ist, dass sich niemand unter Druck gesetzt fühlt oder seine Grenzen überschreiten muss. Manchmal kann auch professionelle Unterstützung helfen, wenn die Dynamik in der Beziehung festgefahren ist. Letztendlich zeigt sich die Stärke einer Beziehung nicht daran, ob Ihr beide immer gleich viel Lust habt, sondern daran, wie liebevoll und respektvoll Ihr mit Euren Unterschieden umgeht.